Anomalie - Zyklus Thorben Perth

Mittwoch, 1. April 2015

Lesezeichen mal anders

Lesezeichen dienen im Leben dazu, in Büchern oder im Internet das wiederzufinden, wo man zuletzt war oder was einem wichtig ist.

Für mich sind Lesezeichen aber viel mehr. Über Durchhaltewillen kann ich mich ja nicht beklagen, doch zu oft muss ich mitten in einer Arbeit oder einem Projekt aufhören. Damit ich dann nicht verpasse, wo ich aufgehört habe, setze ich in meinem Kopf eine Lesezeichen. Dann kann ich später genau dort weitermachen, wo ich aufgehört habe.

Wenn da nur nicht meine vielen Interessen wären. So viele Dinge die man kreuz und quer aufhören und wieder anfangen muss. Da kann man leicht den Überblick verlieren. Dank meinen gedanklichen Lesezeichen kann ich aber Ordnung ins Chaos bringen und mal hier aufhören und mal da weitermachen.

Das funktioniert sogar so gut, dass ich bei meinen Büchern ein paar Tage oder Wochen aussetzen kann und praktisch unterbrechungsfrei weiterarbeiten, wenn sich mir die Zeit bietet. So hatte ich es bei meinem aktuellen Buchentwurf gehalten. Zum Teil musste ich zwischendurch das erste Buch, das in der Veröffentlichung stand, nacharbeiten. Da musste dann das neue Buch eben warten, bis Zeit dazu war, wieder weiterzuarbeiten. Dieses Wechselspiel ging über Monate.

Wieso ich da kein Durcheinander kriege, weiss ich nicht. Es funktioniert einfach. Es ist wie Schubladen ziehen, wenn man sie braucht. Was man da rein gelegt hat, ist dann einfach wieder da.

Donnerstag, 26. Februar 2015

Chaostheorie der Gefühle


Für viele Autisten ist die Chaostheorie logischer als Gefühle. Das heisst aber im Umkehrschluss nicht, dass Autisten keine Gefühle haben und diese auch nicht zeigen können. Wir durchleben die genau gleichen Gefühle wie andere Menschen auch.

Der Unterschied ist nur, dass wir Probleme haben, auf die Gefühle unserer Mitmenschen richtig zu reagieren. Gefühle folgen keiner Logik, darum heissen sie auch so. Gefühle machen Menschen aus. Sie zeigen die Situationen, in denen sie sich gerade befinden.

Wenn wir nur genügend Zeit haben, diese zu analysieren, dann reagieren wir auch richtig. Nur hat man im Alltag diese Zeit nicht. Situationen erfordern ein rasches Handeln und wenn wir darin gehetzt werden, erkennen wir oft Situationen nicht, in denen man eigentlich handeln und eingreifen sollte. Die andere Seite der Medaille ist, dass wenn wir merken, dass wir reagieren müssen, wir das Falsche tun. Nicht, dass wir das nicht merken würden. Doch wenn wir etwas gesagt oder getan haben, ist es schon passiert und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Da ich persönlich nur sehr ungern Fehler mache, führt dies oft dazu, dass ich eben überhaupt nicht reagiere – auch falsch.

Doch auch hinter der Chaostheorie stecken Regelmässigkeiten, so auch bei den Gefühlen. Über die Jahre habe ich gelernt, damit besser umzugehen und richtig zu handeln. Doch auch mich erwischt es immer wieder, dass ich Fehler mache. Nur ärgere mich nicht mehr so sehr darüber, entschuldige mich und lerne daraus. So tune ich mein Regelwerk, das ich mir zurechtgelegt habe, um auf meine Mitmenschen zu reagieren.

Beim Bücherschreiben kann ich zudem alle Situationen durchspielen und die jeweils Beste auswählen, welche den Geschichtsverlauf fördert. Das hilft mir in zweierlei Hinsicht: als Autor wie auch im Privatleben.

Also alles gar nicht so schlimm, solange man bereit ist, Fehler zu machen. Fehler sind dazu da, zu lernen – und Gefühle, um sich der Umwelt mitzuteilen oder Feedback zu erhalten.

Mittwoch, 11. Februar 2015

Auge um Auge


Vielen Autisten kann man es sprichwörtlich an ihrem Verhalten ansehen, dass sie anders sind. Oft wird der Blickkontakt zu anderen gemieden.

Aus meiner Sicht ist dies ein Schutzmechanismus. Denn die Augen sind das Tor zur Seele. Das Leben schnürt einem Jeden einen Rucksack aus Freude, Traurigkeit, Wut, Ohnmächtigkeit, Gleichgültigkeit, Enttäuschung, … Das liesse sich endlos weiterführen.

Ein Augenkontakt öffnet das Tor zur Gefühlswelt des Gegenübers - jahrelang angestaute Spuren an Eindrücken. Man stelle sich vor, welche Flut an Gefühlen auf einem eindringt, wenn man einen Menschen nicht kennt und wenn man diese Gefühle nicht sortieren kann. Gefühle sind für Autisten schon schwierig genug. Es ist ein Buch mit sieben Siegeln. Ein Augenkontakt fühlt sich an wie ein Dammbruch und der schmerzt in der Seele.

Auch wenn ich das Beobachten von Leuten und ihrer Verhaltensweisen liebe, so meide ich dennoch den Blickkontakt. Ich will nicht von jedem meiner Gegenüber die ganze Gefühlswelt aufgetischt bekommen, ohne dass ich oder das Gegenüber das möchte. Noch schlimmer, wenn die Gespräche mit diesen Leuten und das Gefühlte aus dem Augenkontakt diametral auseinandergehen. Das verwirrt nur. Wem soll man denn nun Glauben: den Augen oder den Lippenbekundungen?

Zum Glück habe ich bis heute gelernt, damit umzugehen – den Augenkontakt zu suchen, aber nur flüchtig, meine Schranken hochzuziehen, bevor mich der Schwall aus Gefühlen treffen kann.

Und dennoch, wenn man den Leuten, die man mag, in die Augen blickt, dann geniesst man den Augenkontakt. Denn da ist man mit der Geschichte der Personen vertraut und kann mit den aufgetischten Gefühlen umgehen.

Freitag, 23. Januar 2015

Wie erschaffe ich eine Welt


Wen begeistern nicht Bücher bzw. Filme wie Herr der Ringe, Darkover, Dune oder Star Wars. Doch wenn man analysiert, wie die einzelnen Puzzleteile dieser Welten zusammenpassen, dann wird man sich mit der Zeit bewusst, dass dies kein Zufall sein kann. Da steckt penible Planung dahinter und soziale Gefüge, welche weit über das Vorstellungsvermögen hinausgehen.

Gerade da finde ich es spannend, in solche Zyklen einzutauchen und die Regelwerke zu erforschen. Ich freue mich über jeden Puzzlestein, welcher das Gesamtbild vervollkomnet, über jeden Irrweg, welcher nach der Auflösung in einem neuen endet.

Kein Wunder, dass ich selbst an einem solchen Zyklus über Jahre arbeite. So weit wie bei Herr der Ringe werde ich es jedoch nicht treiben. Die Detailtreue dort raubt mir den Atem. Selbst schaue ich penibel, dass meine Fantasiewelt mit allen Schönheiten und Spannungen in sich stimmig ist. Und wie im wahren Leben, es gibt keine Regel ohne Ausnahme, solange sie nicht gegen die grundlegenden Prinzipien verstösst.

Apropos wahres Leben: Wer denkt, dass alles erfunden ist, irrt sich. Noch immer schreibt die besten Geschichten das wahre Leben. Nur wer unsere Umwelt beobachtet, kann diese Perlen entdecken und sie in die eigene Welt adaptieren.

Wie weit das noch gehen wird? Ich habe noch genügend Material in die Vergangenheit, wie auch in die Zukunft, dass ich beliebig Bücher erschaffen kann und Facetten aus dem Universum der „Anomalie“ auskoppeln kann. Einzig meiner Fantasie und meiner Zeit als Autor sind Grenzen gesetzt.

Mittwoch, 7. Januar 2015

Gefühlte Sprache


Bei einigen Asperger-Autisten, mich nicht ausgenommen, fühlen sich Zahlen und Formeln einfach nur gut an. Sie haben so eine logische Regelmässigkeit an sich. Dreht man an einem Ort das Schräubchen, ist das Resultat an einem anderen Ort zielsicher bestimmbar.

Welch ein Graus war für mich die deutsche Sprache in der Primarschule. In den ersten Jahren hasste ich Aufsätze und Geschichten schreiben. Das Ding wollte sich einfach keinen nachvollziehbaren Regeln stellen. Dementsprechend waren auch die Noten im Keller beim freien Schreiben von Aufsätzen.

Die Freude der Sprache entdeckte ich erst in der Realschule. Da stellte ich fest, dass auch das Deutsche Regeln folgt, trotz der schieren Vielfalt an Möglichkeiten, Kombinationen und Ausnahmen. Ja, auch Ausnahmen sind Regeln, wenn auch nur eine Regel für einen einzelnen Fall.

Aufsätze waren von einem Monat auf den anderen meine liebste Tätigkeit. Die Vielfalt der Sprache wurde zu meinem Freund und die Texte ausgefeilter. Mit dem ersten Familiencomputer begann ich meine eigenen Bücher zu schreiben. Da konnte ich endlich experimentieren, umstellen, umschreiben und feilen, bis sich die Sätze gut anfühlten.
Wenn ich heute die Texte von damals lese, schmerzen mich die Sätze. Sie fühlen sich holprig und unreif an (im Ernst, da liegen auch Jahrzehnte dazwischen). Ich habe in den Jahren so viele neue Regeln gelernt, wie die deutsche Sprache noch schöner und runder wird, dass die Ansprüche an die aneinandergereihten Worte viel höher liegen.

Denn heute weiss ich, wenn ich an einem Wort im Satz die Schraube drehe, welche anderen Teile sich anpassen müssen, damit der Lesefluss wieder stimmt. Das geht auch über mehrere Sätze hinweg, bis sie sich zu einem harmonischen Ganzen, einer Geschichte, zusammenfügen.

Dienstag, 30. Dezember 2014

Soziale Buchhaltung


Gerade diese Jahreszeit ist für mich besonders. Es ist Zeit Bilanz zu ziehen. Bei mir hat dies eine besondere Bewandtnis: Ich kann mich gegenüber meinen Mitmenschen nur sozial verhalten, indem ich im Kopf Buchhaltung führe.

Tönt skurril? Ist es auch. Ganz einfaches Beispiel: Ein Kollege lädt mich zu einem belegten Brötchen ein. Ich notiere mir das innerlich. Derselbe Kollege nimmt mich mit dem Auto mit. Ich notiere mir das innerlich. Irgendwann habe ich zu viele Schulden diesem Kollegen gegenüber und lade ihn, um das auszugleichen, zum Essen ein oder zahle die nächste Tankfüllung, wenn sich die Chance dazu ergibt.

Weihnachten ist hier viel Stress für mich. So viele Personen, die mir etwas schenken und ich das irgendwie wieder ausgleichen muss. Meine Bilanz schaut hier dann nicht immer ausgeglichen aus und das stört mich.

Besonders schwierig, was schenkt man zurück, wenn man noch gar nicht weiss, was man bekommt. Hier habe ich über die letzten Jahren die Buchhaltung verfeinert. Nicht nur Materielles wird einbezogen, sondern auch die persönliche Wertschätzung gegenüber meinen Lieben. Ich erlaube mir hier und da Abzüge oder Zuschläge zu vermerken. Nicht nur Materielles beziehe ich hier ein, sondern auch Gefälligkeiten, Aushelfen oder einfach nur einen gemütlichen Abend beisammen zu sein.

In meinen Büchern nutze ich diese Fähigkeiten, um soziale Spannungen zu generieren oder die vom Leser erwartete Gerechtigkeit wiederherzustellen.

In diesem Sinne schliesse ich meine Buchhaltung für dieses Jahr. Nur wenige Posten sind noch offen. Es war ein gutes Jahr. Ein paar Abschreiber erlaube ich mir auch dieses Jahr. Denn so lebe ich: Gib zehn, nimm eins.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Schreiben statt Reden


Zu reden, heisst spontan sein. Spontanität ist einer meiner Feinde seit jeher. Alles soll sich ja schliesslich in geordneten Bahnen bewegen. Aber ohne Reden geht es eben nicht. Es ist ein notwendiges Übel, damit man nicht aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird.

Die deutsche Sprache hat zudem die Angewohnheit, unendliche Möglichkeiten an Variationen zu bieten. Wenn ich schreibe, dann geniesse ich diese Vielfalt, denn so kann ich die Sprache spüren und die richtige Kombination der Wörter herausfeilen, bis alles passt.

Nur beim Reden, da stolpere ich über diese Möglichkeiten. Ich will zu viel sagen, zu viel verschachteln, verhaspele mich. Mit den Sprichwörtern stehe ich dann auf Kriegsfuss, obwohl ich alle wichtigen kenne, wenn ich schreibe. Beim Reden verdrehe ich regelmässig Wörter, der Sinn geht verloren. Kaum ausgesprochen, merke ich die Fehler. Das kann sogar soweit gehen, dass ich genau das Gegenteil sage, von dem, was ich wirklich meine.

Ganz schlimm ist es, wenn ungeordnete Gruppen aus Menschen um mich stehen und reden. Zumeist sind dies Feste oder Versammlungen. Da fühlt sich der Raum wie ein Bienenstock an. Ich verstehe kein Wort mehr und werde still, rede kaum noch. Dann hilft mir nur noch das gezielte Fokussieren auf einzelne Personen.

Auch das Telefon fühlt sich nicht richtig an. Ich kein Gegenüber und auch die Mimik und Gestik fehlt, um alles richtig zu verstehen. Oft muss ich nachfragen, ob ich alles richtig verstanden habe.

Es gibt nur eine Ausnahme, da ist Reden einfach. Wenn es um meine Lieblingsthemen, meinen Wissenschatz in einem einzelnen Bereich, geht. Da kann ich meine Gesprächspartner in Grund und Boden reden – auch nicht wirklich gut, da ich es zu spät merke.

Zum Glück werde ich jedes Jahr älter und darf auf einen grösseren Erfahrungsschatz zurückgreifen. So fällt es mir heute wesentlich einfacher zu reden, als noch vor ein paar Jahren.