Anomalie - Zyklus Thorben Perth

Dienstag, 30. Dezember 2014

Soziale Buchhaltung


Gerade diese Jahreszeit ist für mich besonders. Es ist Zeit Bilanz zu ziehen. Bei mir hat dies eine besondere Bewandtnis: Ich kann mich gegenüber meinen Mitmenschen nur sozial verhalten, indem ich im Kopf Buchhaltung führe.

Tönt skurril? Ist es auch. Ganz einfaches Beispiel: Ein Kollege lädt mich zu einem belegten Brötchen ein. Ich notiere mir das innerlich. Derselbe Kollege nimmt mich mit dem Auto mit. Ich notiere mir das innerlich. Irgendwann habe ich zu viele Schulden diesem Kollegen gegenüber und lade ihn, um das auszugleichen, zum Essen ein oder zahle die nächste Tankfüllung, wenn sich die Chance dazu ergibt.

Weihnachten ist hier viel Stress für mich. So viele Personen, die mir etwas schenken und ich das irgendwie wieder ausgleichen muss. Meine Bilanz schaut hier dann nicht immer ausgeglichen aus und das stört mich.

Besonders schwierig, was schenkt man zurück, wenn man noch gar nicht weiss, was man bekommt. Hier habe ich über die letzten Jahren die Buchhaltung verfeinert. Nicht nur Materielles wird einbezogen, sondern auch die persönliche Wertschätzung gegenüber meinen Lieben. Ich erlaube mir hier und da Abzüge oder Zuschläge zu vermerken. Nicht nur Materielles beziehe ich hier ein, sondern auch Gefälligkeiten, Aushelfen oder einfach nur einen gemütlichen Abend beisammen zu sein.

In meinen Büchern nutze ich diese Fähigkeiten, um soziale Spannungen zu generieren oder die vom Leser erwartete Gerechtigkeit wiederherzustellen.

In diesem Sinne schliesse ich meine Buchhaltung für dieses Jahr. Nur wenige Posten sind noch offen. Es war ein gutes Jahr. Ein paar Abschreiber erlaube ich mir auch dieses Jahr. Denn so lebe ich: Gib zehn, nimm eins.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Schreiben statt Reden


Zu reden, heisst spontan sein. Spontanität ist einer meiner Feinde seit jeher. Alles soll sich ja schliesslich in geordneten Bahnen bewegen. Aber ohne Reden geht es eben nicht. Es ist ein notwendiges Übel, damit man nicht aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird.

Die deutsche Sprache hat zudem die Angewohnheit, unendliche Möglichkeiten an Variationen zu bieten. Wenn ich schreibe, dann geniesse ich diese Vielfalt, denn so kann ich die Sprache spüren und die richtige Kombination der Wörter herausfeilen, bis alles passt.

Nur beim Reden, da stolpere ich über diese Möglichkeiten. Ich will zu viel sagen, zu viel verschachteln, verhaspele mich. Mit den Sprichwörtern stehe ich dann auf Kriegsfuss, obwohl ich alle wichtigen kenne, wenn ich schreibe. Beim Reden verdrehe ich regelmässig Wörter, der Sinn geht verloren. Kaum ausgesprochen, merke ich die Fehler. Das kann sogar soweit gehen, dass ich genau das Gegenteil sage, von dem, was ich wirklich meine.

Ganz schlimm ist es, wenn ungeordnete Gruppen aus Menschen um mich stehen und reden. Zumeist sind dies Feste oder Versammlungen. Da fühlt sich der Raum wie ein Bienenstock an. Ich verstehe kein Wort mehr und werde still, rede kaum noch. Dann hilft mir nur noch das gezielte Fokussieren auf einzelne Personen.

Auch das Telefon fühlt sich nicht richtig an. Ich kein Gegenüber und auch die Mimik und Gestik fehlt, um alles richtig zu verstehen. Oft muss ich nachfragen, ob ich alles richtig verstanden habe.

Es gibt nur eine Ausnahme, da ist Reden einfach. Wenn es um meine Lieblingsthemen, meinen Wissenschatz in einem einzelnen Bereich, geht. Da kann ich meine Gesprächspartner in Grund und Boden reden – auch nicht wirklich gut, da ich es zu spät merke.

Zum Glück werde ich jedes Jahr älter und darf auf einen grösseren Erfahrungsschatz zurückgreifen. So fällt es mir heute wesentlich einfacher zu reden, als noch vor ein paar Jahren.

Donnerstag, 4. Dezember 2014

Umweg als Abkürzung


Der Mensch neigt dazu, seine Wege zu seinen Zielen abzukürzen. Dabei wird oft der direkteste Weg gewählt.

Als Autist denke ich da anders. Da kann ein Umweg die viel einfachere Lösung sein. Das scheint paradox, doch möchte ich folgendes Beispiel zur Verdeuchtlichung der "Abkürzung" nehmen:
Wenn der direkte Weg durch Sümpfe und Berge führt, jedoch der Umweg drum herum eben und trocken ist, so ist dies der schnellere Weg.

Wenn man diese Fähigkeit, etwas abseits zu denken, perfektioniert, findet man im Leben oft die besseren, schnelleren und einfacheren Lösungen. Das nennt man dann Effizienz.

In der Literatur, da halte ich es genau umgekehrt. Ich sehe mit meinem roten Faden das Ziel klar vor mir. Den Leser lasse ich den Faden höchstens erahnen, indem ich versteckte Hinweise streue. Falsche Hinweise leiten den Leser jedoch bewusst fehl.
So irren die Charaktere, begleitet vom Leser, von einem Problem ins nächste. Erst kurz vor Ende der Geschichte laufen die Fäden wieder zusammen für das grosse Aha-Erlebnis.

Den „besten“ Weg hier zu wählen wäre viel zu langweilig. Da wäre die Geschichte nur wenige Seiten lang. Deshalb sind Verirrungen und Verwirrungen in diesem Sinne besser, denn nur das Leseerlebnis zählt.

Im wahren Leben lebe ich Effizient, im fiktiven Leben die Ineffizienz. In beiden Fällen ist der Umweg die bessere Lösung.